Freitag, 8. Juni 2007

Tag 27 – 06.06.2007 – Brüssel


- Nach meiner nächtlichen Rundreise (siehe Vortagseintrag) war ich trotzdem munter wieder in Brüssel angekommen… richtig gut gings mir dann, nachdem ich mich auf der glücklicher Weise sauberen Bahnhofstoilette wieder frisch gemacht hatte
- Vom Bahnhof aus bin ich dann erstmal Richtung Touristeninfo gelaufen… diese hatte gegen 8 Uhr aber noch nicht auf… so studierte ich eine Straße weiter auf einer gemütlichen Parkbank erst einmal den ADAC-Stadtplan und die entsprechenden Erläuterungen… im Verlauf des Vormittags sah ich mir dann den mächtigen und über der Stadt thronenden Justizpalast an und streifte in den Gassen von Marollen, des ehemals ärmeren Stadtteils, umher… ich besichtigte Notre-Dame-de-la-Chapelle… eine Kirche, deren Bau im romanischen Stil begonnnen, im gotischen Stil fortgesetzt und später anderweitig noch verändert wurde… vor allem das komplett in dunklem Holz verkleidete und bemalte Kirchenschiff war imposant – insgesamt in den drei an diesem Tag besuchten Kirchen war auffällig, dass alle sehr aufwendig geschnitzte Kanzeln hatten… dabei war selbige nicht nur mit Schnitzereien verziert, sondern wie von Skulpturen umschlungen – im Tagesverlauf war ich auch in drei Parkanlagen… jede relativ klein und doch die einzigen im Stadtkern von Brüssel – an grünen Oasen der Entspannung kann die Stadt mit den meisten anderen Großstädten nicht mithalten… in positivster Erinnerung ist mir da immer noch Madrid
- Was ist bei Regen blau, bei Sonnenschein etwas beiger und schon aus 200m Entfernung zu hören?... richtig: ich mit meinen Schuhen… und diese Antwort könnte wohl jeder geben, der mir in den letzten fast zwei Wochen über den Weg gelaufen ist und mich „gehört“ hat… ich bin jetzt schon gespannt, was die netten Verkäufer-/innen bei Sportscheck machen werden, wenn ich die Schuhe reklamiere… in den USA würde so ein Fall vor Gericht landen… ich würde wegen psychischer Belastung durch Dauerquitschen, Minderwertigkeitskomplexem beim Passieren anderer Menschen und physischen Belastungen durch teilweise Veränderung der Abrollbewegung beim Gehen ein Schmerzensgeld von mindestens 50 Mio. US-Dollar erhalten… nun lebe ich aber in Deutschland und hoffe es kommt wenigstens mehr als ein mitleidiger Blick der Verkäuferin dabei raus… habe inzwischen auch schon mehrere Versuche unternommen, das nervtötende Geräusch mit meinem Handydiktiergerät aufzunehmen… ist aber auf Grund anderer Hintergrundgeräusche doch sehr schwierig
- Besonders an meine Schuhe erinnert wurde ich in Brüssel in einem Park als mir der ideal dazu passende Kinderwagen begegnete… dessen Räder quietschten ständig beim Fahren… meine Schuhe in Kombination mit diesem Kinderwagen wären der optimale Nervtöter – auch auffällig war, wie viele Männer in dem einen Park um die Mittagszeit Joggen waren…ohne Dusche auf Arbeit wäre so etwas wohl kaum möglich
- Am Nachmittag besichtigte ich dann noch einmal ausführlich den Marktplatz von Brüssel… er ist umsäumt von prächtigen gotischen und barocken Häusern der verschiedenen Handwerksgilden, sowie dem Rathaus
- Auf dem Marktplatz hatten sich auch gerade zwei deutsche Schulklassen samt Aufsichtspersonal eingefunden… diese drei Lehrer, zwei Damen und ein Herr… wobei der Begriff Damen hier wohl eher unangebracht erschien…sie gaben jedenfalls unabhängig ihrer hoffentlich beachtlichen fachlichen Kompetenz und ihrer Persönlichkeit kein sonderlich repräsentatives Bild ab… ein weiteres Argument die Schuluniform in Deutschland einzuführen, vorausgesetzt die Lehrer werden auch damit ausgestattet
- Am späteren Nachmittag wollte ich das Atomium besichtigen… seit längerem mal wieder ein städtisches Nahverkehrsmittel nutzend, fuhr ich vom Zentrum aus zwar in die richtige Richtung los… aber mit der falschen Bahn… ich war mir von Anfang an unsicher, aber zu faul, noch mal auf den U-Bahn-Plan zu schauen… das tat ich erst, als ich schon sieben Haltestellen in die falsche Richtung gefahren war… mit dem Gegenzug gings dann aber problemlos zum Ziel – das Atomium selbst ist als bautechnisches Kunstwerk beeindruckend… beim Besichtigen von Innen merkt man davon allerdings kaum etwas… die Aussichtsplattform in der obersten Kugel ist auch nicht anders als auf einem Aussichtsturm… und die Ausstellungsstücke zum Bau und der Renovierung des Atomiums, sowie den zwei Weltausstellungen sind sehenswert aber kein „must“
- Anschließend musste ich mich dann auch schon wieder langsam auf den Weg zum Bahnhof machen… dabei konnte ich noch zwei amüsante Beobachtungen machen… zum einen kam ich in der Innenstadt wieder an dem Platz vorbei, an dem ich des morgens einige Zeit verbracht hatte… inzwischen waren die Cafes und Restaurants gut gefüllt… davon wollten zwei Straßenmusiker profitieren… ein Akkordeon und ein Geigenspieler… letzterer fidelte was das Zeug hielt und ersterer war verärgert, dass er nicht zum Zug kam… zwei mal unternahm der Akkordeonspieler auch Ansätze und begann einfach ebenfalls zu spielen…. aber er brach dann wieder ab und gab nach… unverständlich, da er das lautere Instrument hatte… vielleicht aber war er einfach der klügere und wartete auf den Moment, wenn der andere einsehen würde, dass er dort eh nichts verdienen kann… denn Geigenspieler können etwas reizvolles haben… nicht aber, wenn sie in kurzen Hosen und mit unübersehbarem Bierbauch verdeckt von einem Adidas-Shirt auftreten – die zweite amüsante Begebenheit war dann auf dem Bahnsteig… dort schien ein Mann, Kategorie Straßenkehrer, auf seinen Zug zur Arbeit zu warten… jedenfalls war er gerade dabei Bier in eine Trinkflasche umzufüllen… zweifelhaft ob sein Arbeitgeber oder wer auch immer, sich rein durch diesen äußeren Schein täuschen lässt
- Nachdem ich meine letzte Nacht etwas unorthodox verbracht hatte, wolle ich diesmal mit dem Thalys von Brüssel nach Paris und von dort mit dem Nachtzug weiter nach Bordeaux… leider erfuhr ich am Bahnhof, dass im Nachtzug keine Sitzplätze mehr verfügbar waren… nur noch Liegen zu 17,50€ (fast Jugendherbergspreise)… unentschlossen reservierte ich erst einmal nur die Fahrt im Thalys und wollte mir alles weitere auf dem Weg nach Paris noch mal überlegen – die Fahrt im Thalys aber war eine Frechheit, wenn man die Fahrpreise in Betracht zieht.. für die eine Stunde Fahrt nach Paris hatte ich 15€ Reservierungsgebühren zahlen müssen… der Thalys ist aber die einzige zumutbare Verbindung auf dieser Strecke… alle anderen Züge bräuchten bei mehrmaligem Umsteigen sechs bis acht Stunden… fraglich ob andere Wettbewerber absichtlich von der Strecke fern gehalten werden, dann wäre das ganze ein Fall für die EU-Kartellbehörde: wegen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung - nun sind 15€ für eine Reservierung viel Geld, aber vielleicht noch vertretbar, wenn Reisegeschwindigkeit und Komfort stimmt… vor allem an letzterem mangelte es aber erheblich… der Zug war restlos ausverkauft…das Platzangebot für Gepäck beschränkt sich ungefähr auch einen Koffer für jede achte Person und ein Handgepäckstück in Größe eines kleinen Rucksack oder einer großen Handtasche… da durchschnittlich aber jeder Passagier einen Koffer und mehrere Handgepäckstücke hatte, die nicht in die völlig zu klein dimensionierte Hutablage passten, war schon das Einsteigen eine Qual… ich hatte Glück und war nach fünf Minuten an meinem Platz… andere Fahrgäste stiegen und quetschten sich 20 Minuten lang herum, um bis zu ihrem Sitz zu gelangen… und das obwohl sie die ganze Zeit im richtigen Wagen waren… alle Gänge und jeder irgendwie nicht von Beinen ausgefüllte Freiraum zwischen den Sitzen war mit Gepäckstücken zugestellt… schlicht unzumutbar… und für diesen Fahrpreis unverschämt
- Auf meiner Fahrt nach Paris war mir aber eingefallen, dass es auch noch eine andere Möglichkeit gibt, um nach Bordeaux zu kommen, den Nachtzug nach Toulouse und von dort aus mit dem Schnellzug weiter… vielleicht waren ja in diesem Nachtzug noch Sitzplätze frei – ich kam aber erst 22:10 Uhr in Paris-Nord an und musste mit der U-Bahn noch nach Paris-Montparnasse… hurtig versuchte ich ein U-Bahn-Ticket zu bekommen und die richtige U-Bahn zu finden… dabei half mir ein netter Schwarzer, der mich auch schon auf dem Brüsseler Bahnsteig gesehen hatte… auf der 30-minütigen U-Bahnfahrt erfuhr ich, dass er von der Elfenbeinküste stammt, in Paris studiert hat und jetzt mit Frau und Kind in Oslo lebt… er ist IT-Consultant und schreibt gerade an einem Buch über Manipulation im Geschäftsleben und in der Kriegsberichterstattung… als Beispiel bezieht er sich auf das Medienecho während des Bürgerkrieges in seinem Heimatland… er sammelt schon vier Jahre lang Material und hat inzwischen Kontakt zu zahlreichen Journalisten, Militärs, sowie zur Außenministerin oder Staatspräsidentin der Elfenbeinküste… außerdem sprachen wir über Deutschland und deutsche Städt… an dieser Unterhaltung beteiligte sich gleich noch ein anderer U-Bahn-Passagier… einhellige Meinung der beiden: München ist versnobt, Dresden ist sehr schön, Köln ist ein kleines Berlin und Berlin ist genial… die einzige deutsche Stadt, die wirklich eine lohnenswert eigene und weltoffene Kultur hat, sei Berlin – leider war unsere Unterhaltung nur sehr kurz… nach einer halben Stunde notierte ich mir noch seine Mailadresse, dann trennten sich unsere Wege
- Wer daran glaubt, mag es für Schicksal halten, dass wir uns dort getroffen haben… zielführend für meine Reise war es jedenfalls nicht… denn in Paris-Montparnasse angekommen, musste ich feststellen, dass zwar tagsüber alle Züge Richtung Bordeaux und Toulouse dort abfuhren… die Nachtzüge aber starteten von Paris-Austerlitz… sie waren für mich jetzt nicht mehr zu erreichen und so blieb mir nichts anderes als auf dem Bahnhof zu übernachten, bis am morgen der nächste Zug weiterfuhr

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